IG Volkskultur
In jeder Kultursparte haben sich zur internen Organisation und Kommunikation schon lange regionale und landesweite Verbände gebildet. Trotz teilweise ansehnlicher Mitgliederstärken hatten sie gegenüber der Gesellschaft und Politik jedoch zu wenig Schlagkraft. Das führte vor einem Vierteljahrhundert zur Gründung der Interessengemeinschaft Volkskultur, die heute ein gewichtiges Wort in kulturpolitischen Belangen hat.
23.09.2016 | VON HANSPETER EGGENBERGER
Volkskultur zeigt sich in einer grossen Vielfalt von Ausdrucksformen: Jodeln, Singen, Tanzen, Musizieren, Trachten, Fahnenschwingen, Amateurtheater, Malerei, Handwerk und Brauchtum. Laienkultur wiederum bedeutet jenes künstlerische Tun, dem sich Hunderttausende von Bewohnerinnen und Bewohner des Landes neben ihrem Beruf und ausserhalb der grossen Kulturinstitutionen mit Herzblut widmen und damit zur reichen Kultur beitragen. Es gab eine Zeit, in welcher diese Tatsache vor allem in politischen Gremien nur sehr untergeordnet zur Kenntnis genommen wurde. Deshalb wurde die Volkskultur meistens nur am Rande berücksichtigt, wenn es etwa um Unterstützungsbeiträge für Projekte ging. Volkskultur-Schaffenden ist es oftmals sauer aufgestossen, wenn ihre kostenlos aufgegleisten Projekte mit vielen Frohndienstleistenden nicht unterstützt, einzelne Künstler aber mit Beträgen im Extremfall in fünf- und sechstelliger Höhe bedacht wurden. Es war klar: Der Volkskultur fehlte es an Image, sie hatte keine Lobby!
Dem Sprichwort «Gut Ding will Weile haben!» folgend, dauerte es 26 Jahre, bis die IG Volkskultur (IGV) genügend Gehör fand. Hatten zwar die Gründer unter der Leitung von Kuno Knutti im Jahr 1990 klare Visionen, so musste der Gedanke des gemeinsamen Weiterkommens auch in den Verbänden selber zunächst reifen. Weil man vermutete, dass mit einem nationalen Politiker an der Spitze des Verbandes mehr zu erreichen ist, wurde der Jodler und Nationalrat Hanspeter Seiler Knuttis Nachfolger. Richtig greifen konnte dieser Gedanke aber erst, als Albert Vitali die Leitung übernahm. Als aktiver Jodler und jahrelanger Schwingerfunktionär hat er die Affinität zur traditionellen Kultur sowie als selbständiger Treuhänder und aktiver Nationalrat die richtigen Kontakte. Er wusste, dass zunächst noch viele andere Kreise in die Gemeinschaft aufgenommen werden mussten, damit die Vereinigung mit einem grossen Mitgliederbestand repräsentativ wurde. Er sensibilisierte Kolleginnen und Kollegen im Nationalrat für die Sache, indem er als Mitglied der parlamentarischen Gruppe für Volkskultur und Volksmusik einen Trachtentag im Parlament initiierte. Mittlerweile repräsentiert die IGV über 400’000 Leute, die in irgend einer Volkskultur-Sparte aktiv sind!
Im Dienst der Sache
Die Interessengemeinschaft hat ihr Wirkungsfeld in einem Leitbild umrahmt. Darin steht: «Volkskultur bedeutet Herkunft und Heimat. Der Begriff meint den respektvollen Umgang mit der Tradition und ihre sorgfältige Erneuerung und Weiterführung. Sie ist keine Kunstgattung, sondern eine Haltung. Laienkultur bedeutet jenes künstlerische Tun, dem sich Hunderttausende von Bewohnerinnen und Bewohner des Landes neben ihrem Beruf und ausserhalb der grossen Kulturinstitutionen widmen und damit zur reichen Kultur beitragen. Die IGV Schweiz und Fürstentum Liechtenstein ist der Dachverband aller volkskulturell tätigen Spartenverbände und Organisationen von nationaler Bedeutung, welche die vielfältige Laienkultur sowie das traditionelle Kulturgut in der Schweiz und in Liechtenstein pflegen und fördern. Die IGV versteht sich als kulturpolitische Organisation, die die Interessen der Volks- und der Laienkultur vertritt. Zur Volkskultur zählt sie jene Organisationen und Institutionen, welche die heimatliche Tradition pflegen, entwickeln, verbreiten, erforschen und dokumentieren. Laienkultur umfasst alle Organisationen und Vereine, in denen Bürgerinnen und Bürger ausserberuflich kulturell und künstlerisch aktiv sind.»
Mittlerweile hat die Vereinigung diverse wichtige Aufgaben übernommen, die ihren Mitgliedsorganisationen und somit der ganzen Volkskultur zugute kommen. Dazu gehört beispielsweise die Verwaltung des Volkskulturfonds der Pro Helvetia. Mit diesen Mitteln fördert sie den nationalen und regionalen Austausch, Talente und Projekte. Betrachtet man die Liste der im Jahr 2015 durch Defizitgarantien unterstützten Projekte, so sieht man die Wirkungsbreite. Da ging es zum Beispiel um den Innerschweizer Trachtentag auf dem Ballenberg, das Jugendlager des Verbands Hackbrett Schweiz, um den Wettbewerb Schweizer Folklorenachwuchs, den Kompositionsauftrag des Jugend Brass Band Forums Ostschweiz, ein spezielles Konzert des Mandolinen-Orchesters Zürich, eine Ausstellung des Schweizerischen Vereins Freunde des Scherenschnittes, um den Meisterkurs für Dirigieren des Vereins Jungfrau Music Festival, das Eidgenössische Akkordeonmusikfest oder die Fiescher Brauchtumswoche der Schweizer Trachtenvereinigung.
Beispiel Chorvereinigung
Die Schweizerische Chorvereinigung (SCV) gehört zu den Mitgliedern der IG Volkskultur. Sie entstand 1977 durch Zusammenschluss des Eidgenössischen Sängervereins, des Verbandes Schweizerischer Frauen- und Töchterchöre und des Schweizer Verbands Gemischter Chöre. Die Aus- und Weiterbildung von Dirigentinnen und Dirigenten, Expertinnen und Experten ist eine zentrale Aufgabe. Weiter kümmert sie sich um die Verbreitung neuer Chorliteratur und um die Nachwuchsförderung. Das tut sie insbesondere durch die Gründung kantonaler und regionaler Jugendchöre, wobei die SCV ihre Erfahrungen einbringt und bei der Durchführung von Singlagern beratend zur Verfügung steht. Ein weiteres Augenmerk richtet die SCV auf die Ausbildung der Dirigentinnen und Dirigenten. Unter anderem führt sie dazu den nebenberuflichen Lehrgang «Chorleitung mit Abschluss CH 1» in Zusammenarbeit mit der Musikschule Zug durch. Und natürlich organisiert die SCV diverse Treffen, die der Kontaktpflege dienen und unterstützt nationale und internationale Chorprojekte wie beispielsweise das Schweizerische Kinder- und Jugendchorfestival, das Europäische Jugenchorfestival in Basel oder diverse Singwochen. Etwa alle acht Jahre findet das Schweizerische Gesangsfest statt, das jeweils an die 500 Chöre mit insgesamt über 15’000 Sängerinnen und Sängern zu einem Stelldichein vereint. Motivation holen sich die Chöre auch an den kantonalen Gesangsfesten, an welchen sie sich der Meinung einer Fachjury stellen. Darum herum gibt es an diesen Festen viele weitere Anlässe wie Umzüge, gemeinsame Mahlzeiten, Festkonzerte und Unterhaltungsprogramme. Alle drei, vier Jahre wird der Schweizerische Chorwettbewerb durchgeführt, an welchem jeweils über 8000 Teilnehmende mitwirken. Die Chöre werden dort von einer Jury bewertet und nach Punkten rangiert. Die erstplatzierten Ensembles erhalten meist Preisgelder oder andere Prämien, und oft kann das Publikum ebenfalls einen Preis vergeben. Das Verbandsmedium ist die Schweizerische Chorzeitung, die in allen vier Landessprachen erscheint.
Weitere aktive Mitgliederverbände der IG Volkskultur werden in Land&Musig in loser Folge genauer vorgestellt.
Im Gespräch mit Andreas Gabriel
Sie sind Vizepräsident und PR-Verantwortlicher der Schweizer Chorvereinigung (SCV). Pflegt Ihr Verband einen aktiven Kontakt zur IG Volkskultur?
Ja, die Schweizerische Chorvereinigung nimmt regelmässig an Veranstaltungen der IG Volkskultur teil. Zudem pflegen wir einen regen informellen Austausch mit den Exponenten der IGV.
Was bringt die Mitgliedschaft?
Die Mitgliedschaft eröffnet der SCV eine stärkere und koordinierte Interessenvertretung in volkskulturellen Themen insbesondere auf Bundesebene. Die Mitglieder erhalten überdies aufschlussreiche kulturpolitische Informationen, welche für die eigene Verbandsarbeit nützlich sind. Die Teilnahme an von der IG Volkskultur koordinierten Auftritten, zum Beispiel Tag der Volkskultur an der OLMA in St. Gallen, ermöglicht den Mitgliedern eine öffentlichkeitswirksame Präsenz, die sie aus eigener Kraft vielleicht nicht leisten könnten.
Erreicht die IGV ihr Ziel in der Bewusstseinsstärkung von Volks- und Laienkultur bei Politik, Medien und in der Bevölkerung?
Ja, die IG Volkskultur hat sich – gerade in den letzten Jahren unter dem Präsidium von Albert Vitali – zu einem wichtigen Partner in kulturpolitischen Fragen auf Bundesebene entwickelt. Sie vertritt die Interessen ihrer Mitglieder glaubwürdig und kompetent. Eine wichtige Dienstleistung erbringt die IG Volkskultur indem sie im Auftrag der Schweizer Kulturstiftung Pro Helvetia den mit 100‘000 Franken jährlich dotierten Volkskulturfonds verwaltet. Der Fonds müsste jedoch aus unserer Sicht noch an Bekanntheit und dadurch an Wichtigkeit gewinnen.
Sind Sie mit dem Chorwesen in der Schweiz zufrieden oder drückt auch irgendwo der Schuh?
Der Chorgesang in der Schweiz ist lebendig und vielfältig. Nebst dem grossen Schatz an Volksliedern pflegen die Chöre Literatur verschiedener Stilrichtungen und Epochen und dies in verschiedenen Formationen, vom Amateurchor bis zum professionellen Ensemble. Wir erfreuen uns an einer blühenden Kinder- und Jugendchorszene, die sich ihre eigenen und neuen Begegnungsformen erarbeitet. Auf der anderen Seite kennen wir die üblichen Schwierigkeiten, die im Vereinswesen auftreten können, so die Überalterung bei den Mitgliedern, der Mangel an Chorleiterinnen und -leitern oder der Mangel an aktueller und zeitgenössischer Chorliteratur. Die positiven Tendenzen überwiegen jedoch eindeutig, so dass wir der chorgesanglichen Zukunft der Schweiz hoffnungsvoll ins Auge blicken.
Kontakt
IG Volkskultur Schweiz
und Fürstentum Liechtenstein
c/o Haus der Volksmusik
Lehnplatz 22
6460 Altdorf
Telefon 041 871 14 78
www.volkskultur.ch